Ich habe mich die letzten Tage mal näher mit der historischen Entwicklung der Personenwagen in Belgien befasst, im besonderen der Belgischen Staatsbahn (ETAT belge).
1889 erfolgte die Inbetriebnahme der ersten größeren und dreiachsigen Personenwagen (GC = "Grande Capacite") mit mehr als 80 Sitzplätzen, in der 3. Klasse sogar 96. Sie hatten ein Metallfahrgestell, aber der Aufbau bestand aus Holz. Ihre Größe und ihr Gewicht machten leistungsstärkere Lokomotiven und die Erweiterung bzw. Verlängerung vieler Bahnsteige erforderlich. Diese Wagen hatten aber vollständig getrennte Abteile und die Schaffner mussten jedes Abteil von außen erreichen. Daher auch die durchgehenden Trittbretter und die waagerechten Geländer, die noch an einigen Museumswagen zu sehen sind. Es gab viele Unfälle und man entschied sich, einen Mittelgang zu schaffen.
Ab 1900 wurden die Wagen teilweise umgebaut und außerdem viele neue Wagen gebaut, die nun einen Seitengang bekamen. Die meisten von ihnen hatten auf einer Seite eine offene Plattform und am anderen Ende eine Toilette. Einige hatten keine Toilette, dafür beidseitig eine offene Plattform, wie auf diesem Bild zu sehen:
An beiden Stirnen befanden sich Übergangsbrücken. Die Übergänge waren aber nur für das Zugpersonal bestimmt. Diese Wagen bekamen die Bezeichnung GCI, wobei das I für "Intercirkulation" stand, also die Verbindung der Wagen und die Korridore, sodass das Personal sozusagen zirkulieren konnte.
Die folgende Zeichnung zeigt einen GCI-Wagen mit Plattform und Toilette am anderen Ende. Eine Drehtür führte vom Gang zur Plattform und eine zweite Drehtür im Gang trennte die fünf zusammenhängenden Raucherabteile von den beiden Nichtraucherabteilen und dem Frauenabteil, das seinerseits gegen den Gang noch durch eine Schiebetür abgeschlossen war. Die Abteile wurden mit Dampf geheizt und mit elektrischen Glühlampen beleuchtet.
Die meisten GC-Wagen wurden noch vor dem zweiten Weltkrieg außer Dienst gestellt, die GCI-Wagen waren bis Mitte der 1960er im Einsatz. Einige Exemplare (mindestens 16) sind erhalten und bei Museumsbahnen im Einsatz bzw. warten auf Restaurierung. Zwischen 1889 und 1921 wurden von acht verschiedenen belgischen Wagenbauanstalten insgesamt 2876 Wagen für die belgische Staatsbahn gebaut.
Diese Wagen bestimmten also für viele Jahrzehnte das Bild des Personenverkehr bei der Bahn in Belgien. Im Gegensatz zum belgischen Lokomotivbau wo ab 1899 ein zunehmender britischer Einfluss das Bild der Eisenbahn bestimmte (Période McIntosh in Belgien).
Allerdings entstanden ab 1893 auch erste Personenwagen mit Drehgestellen, so wie beispielsweise dieser Salonwagen von 1899:
Und nun ein Bild welches mich doch etwas verwirrt hat. Leider habe ich keine weiteren Angaben zu diesem Bild aus dem Jahre 1901, außer "Belgischer Personenwagen - american style".
(Quelle: Railway and Locomotive Engineering, New York, Februar 1901 - Public Domain)
Ob diese Wagen nun in Belgien nach US-Vorbild gebaut wurden, oder sogar in den USA gefertigt wurden, konnte ich leider bis jetzt noch nicht herausfinden.
was das letzte Bild mit dem vermeintlichen Personenwagen "American style" angeht, konnte ich nun klären, dass dies kein Personenwagen, sondern ein Akkutriebwagen der ETAT Belge war, der wohl ab um 1900 im Test-Einsatz war. Zu der Zeit experimentierten auch Frankreich, Italien, GB und Deutschland mit Batterie-Triebwagen und Batterie-Lokomotiven.
Hier ein weiteres Bild von schräg vorne: Quelle: Street Railway Journal, New York und Chicago, 7. Juni 1902 - Public Domain)
auch von mir Dank für diesen Beitrag. Was den Personenwagen "American Style" () betrifft - gerade bei einem solchen Wagen hätte ich Plattformen an den Enden erwartet, siehe z.B. die württembergischen Personenwagen, die es bei Märklin/Trix im Sortiment gab oder noch gibt.
Weißt Du, welche Achsen bei dem Akkutriebwagen angetrieben sind - auf dem Foto in Seitenansicht sieht es so aus, als ob das die jeweils innere Achse an jedem Drehgestell ist.
ich weiß leider auch (noch) nicht mehr zu dem belgischen Batterie-Triebwagen, bin noch am recherchieren. In Belgien und auch Frankreich und anderen Ländern war um 1900 viel los in Sachen Batterie-, Benzinbetrieben- benzin-elektrischen- und anderen Techniken. Da wurde viel geforscht und experimentiert. Die meisten dieser Fahrzeuge sind nach kurzem wieder stillgelegt und verschrottet worden, weil sie eben nicht den Erfolg brachten, den man sich erhoffte. Wenn nicht damals zufällig irgendwann man in einer alten Zeitung ein Foto erschienen wäre (wie eben bei diesem Triebwagen) wüssten wir heute noch weniger davon.
habe ein paar weitere Infos zu dem oben gezeigten Akkumulator-Triebwagen der Belgischen Staatsbahn gefunden. Der war auf einer 18 km langen Nebenbahn bei Antwerpen im Einsatz. Schaffte 55 km/h und kam 110 km weit, bevor die Akkus wieder aufgeladen werden mussten.
Zitat von wartenbes im Beitrag #4Weißt Du, welche Achsen bei dem Akkutriebwagen angetrieben sind - auf dem Foto in Seitenansicht sieht es so aus, als ob das die jeweils innere Achse an jedem Drehgestell ist.
Es hat leider einige Monate gedauert, doch ich habe jetzt weitere Details herausgefunden. Es wurden alle Achsen angetrieben, mit jeweils einem Gleichstrom-Motoren pro Drehgestell. Weitere Infos bez. Anzahl Sitzplätze, Klassen etc., hab ich in unserem Wiki hinterlegt: http://fr-bahn.wikidot.com/chemins-de-fe...etat-belge#toc3
Dieser Triebwagen wurde im Übrigen 1900 auf der Weltausstellung in Paris gezeigt.