das die Französischen Bahnen früher Lokomotiven in Belgien, Grobritannien und Deutschland bauen liesen, war mir bekannt, aber dass man sogar große Mengen Güterwagen in Übersee kaufte war mir neu. Im Jahre 1915 bestellte die ETAT bei der kanadischen Eastern Car Company 1000 gedeckte Güterwagen. Dafür richtete die Eastern Car Company extra eine eigene Werkstatt in LaGarenne in der Nähe von Paris ein, später folgte eine zweite in Tours. Die Einzelteile der Wagen wurde aus Kanada dorthin verschifft und die Wagen wurden in Frankreich von Kriegsgefangenen fertig zusammengebaut. Fünf kanadische Mitarbeiter überwachten vor Ort den Zusammenbau. Insgesamt wurden 3000 gedeckte und offene Güterwagen für die ETAT gebaut.
Danke für diese sehr nützliche Info bzgl. der kanadischen Güterwagen.
Ich hatte bis jetzt immer nur die Amerikaner auf dem Schirm, übersah jedoch, das auch kanadische Lokomotivfabriken während des I. WW Loks nach Frankreich lieferten. Da liegt ja die Lieferung von anderem Rollmaterial nahe. Wieder was gelernt.
Auch neu war mir, daß diese Waggons von Kriegsgefangenen nahe Paris zusammengebaut wurden.
in der Regel bauten wohl die meisten Bahngesellschaften ihre Wagen selber im eigenen Land. Aber zu Kriegszeiten, oder wenn in einem Land keine oder nicht ausreichend Wagenbauanstalten vorhanden waren, musste man im Ausland kaufen. Sogar das Russische Zarenreich hatte ab 1915 rund 8000 Güterwagen in Kanada gekauft und rund 5000 bei dem us-amerikanischen Unternehmen Pressed Steel Car Company in Pittsburgh, Pennsylvania.
Leider ist es so, dass allgemein zwar viel bekannt ist, welche Loks wo gebaut und gekauft wurden, aber wenig über Personen- und Güterwagen. Daher forsche ich hier schon seit geraumer Zeit nach und finde doch immer mal wieder etwas in alten Zeitungen oder Fachpublikationen aus der damaligen Zeit.
Dass Kriegsgefangene die Wagen zusammenbauen mussten, war vermutlich damals üblich, das wird in anderen Ländern genauso gewesen sein. War nicht schön, aber war eben damals "normal".
diese kanadischen Güterwagen sind also die (normale) lange Version, anstatt die kurzen, englischen im anderen Thread? Diese hier ähneln dann sehr den Europäischen. Die Kanadier hatten ja, im Gegensatz zu den Engländern, ein größeres Lichtraumprofil zu Verfügung. Oder sehe ich das falsch?
Auf jeden Fall sehr interessant wo die Französischen Bahngesellschaften sich ihr Rollmaterial besorgten. War das eigentlich Usus zu dieser Zeit?
die kanadischen waren von der Länge her wohl wie die europäischen. Normalerweise bauten die meisten europäischen Gesellschaften die Personen- und Güterwagen selber im eigenen Land. Man hatte wohl aufgrund des 1. WK in Kanada bestellt, weil man im eigenen Land keine funktionierenden Fabriken hatte.
Die kurzen britischen Wagen hatte man kurzfristig nach dem 2. WK gekauft, weil man dringend Wagen brauchte, aber vermutlich die Wagenbauanstalten in Frankreich zerstört waren oder nicht in der Lage waren soviele so schnell zu bauen. Nachdem man dann wieder genügend gebaut hatte, wurden die kurzen wieder an British Railways verkauft, wo sie noch bis in die 60er im Einsatz waren
Ich denke, das ist immer nur dann passiert, wenn eben durch die Kriege es nicht möglich war selber Wagen zu bauen.
Soweit ich weiß haben die Kanadier die Wagen so gebaut wie Frankreich sie haben wollte, also nach den Vorgaben der ETAT. Die Güterwagen der kanadischen Bahngesellschaften sahen ganz anders aus. In GB waren die Wagen nicht nur wegen dem Lichtraumprofil so kurz. Die Briten mochten diese kurzen Wagen. Auch geschlossene Güterwagen waren dort lange Zeit so kurz. Auch in Australien und anderen britischen Kolonien waren die Wagen anfangs so kurz, obwohl ja dort genug Platz vorhanden war.
Hallo Volker und alle die es vielleicht interessiert,
ich möchte noch mal auf die Länge von Güter- aber auch Personenwagen eingehen, da ich das zu kurz und unvollständig erklärt habe. Auch in Frankreich waren ja in der Anfangszeit der Eisenbahn die Güter- und Personenwagen sehr kurz, wie man auch bei den von mir vorgestellten Güterwagen der EST sieht. Die Länge der Wagen war abhängig vom Gleisradius (dass beim Durchfahren der schärfsten Bahnkrümmungen noch eine ausreichende Überdeckung der Pufferscheiben gegeben war) und dem zur Verfügung stehendem Lichtraumprofil. Außerdem war man bestrebt die Wagen nach Möglichkeit kurz zu bauen, um in den Stationsgleisen eine größere Anzahl von Wagen aufstellen zu können.
Zu beachten war allerdings vor allem bei Güterwagen aber auch - mit Rücksicht auf die Tragfähigkeit von Eisenbahnbrücken - dass die Länge der Wagen nicht so gering bemessen wurden, dass das auf 1 m Wagenlänge einschließlich der Puffer entfallende Gesamtgewicht einen zu großen Wert ergab. Für Güterwagen mit hohem Gewicht für das Meter Wagenlänge – vor allem Spezialwagen – bestanden bei den einzelnen Bahnen besondere Vorschriften für die Einstellung in die Züge, wonach solche Wagen von der Lokomotive oder anderen schweren Wagen durch eine gewisse Anzahl von Wagen mit geringerem Gewicht für das Meter Wagenlänge getrennt sein mussten.
Ein weiterer Aspekt für kurze Wagen war die früher in Bahnhöfen gegebene Möglichkeit einzelne Wagen mittels Wagendrehscheiben schnell zu wenden oder auf ein anderes Gleis umzusetzen, ohne lange rangieren zu müssen.
Das folgende Bild vom Bahnhof Paris-Austerlitz (ursprünglich Gare d’Orléans) der Paris-Orléans-Bahn (PO) aus dem Jahr 1883 zeigt rechts unten sehr schön diese Wagendrehscheiben und die sehr kurzen Personen- und Güterwagen der damaligen Zeit:
Hier drei Personenwagen der Compagnie du Nord - Belge (eine Tochtergesellschaft der Französischen Nordbahn) wie sie um 1860 in Frankreich und Belgien üblich waren: Von links nach rechts 1., 2. und 3. Klasse.
Detail am Rande: Die Personenwagen dieser Zeit waren in Großbritannien noch kürzer, als auf dem Kontinent. Dies lag an der Bauweise bzw. der Großzügigkeit der Abteile. Während ein Abteil der 1.Klasse um 1860 in Frankreich rund 2 m lang war, waren es in Großbritannien nur gut 1,8 m. In der 3.Klasse waren es nur 1,2 gegenüber 1,3 bis 1,35 m.
Danke für deinen Bericht und die Erklärung zu den kurzen Güter- und Personenwagen.
Du bist ein Füllhorn an Informationen!
Da die Länge der Wagen auch im Zusammenhang mit den verbauten Gleisradien und dem Lichtraumprofil stand, würde das doch bedeuten, daß bei zunehmendem Güter- und Personenverkehr Radien vergrößert und Lichtraumprofile erweitert werden müssten. Gibt es Berichte über solche Streckenumbauten und Literatur darüber? Ich glaube die Verteilung des Gewichts eines Zuges, vor allem beim Passieren von Brücken, war schon eine besondere Rechenaufgabe die sich im Laufe der Entwicklung der Eisenbahntechnik schon sehr früh stellte. Im laufe der weiteren Entwicklung konnte man ja, nach Vergrößerung der Gleisradien, schwere Wagen mit mehreren Achsen/Drehgestellen bauen und damit die zulässige Achslast besser verteilen.
Auch sehr interessant für mich war das Bild des Gare d'Orléans mit den innenliegenden Drehscheiben. Ich kannte solche ja vor allem von kleinen Bahnhöfen aber das man sie auch innerhalb geschlossener Bahnhofshallen verwendete, war mir neu. Man könnte fast meinen die filigrane Dachkonstruktion beeinflusste die Planung und Entstehung des Eiffelturms.
Bei den von dir gezeigten Reisezugwagen sind die äußeren Klassenunterschiede extrem deutlich zu erkennen. Bei der 1. Klasse erinnern die Wagen sehr stark an luxuriöse, kleine Postkutschen, während die Wagen der anderen Klassen sich im Design schon mehr Boxen oder Kisten annähern.
Viele Worte meinerseits zu deinem tollen Bericht. Er hat mich also anscheinend sehr inspiriert.
ich weiß es nicht, aber ich gehe davon aus, dass die normalen Strecken schon immer ziemlich gerade waren und große Radien hatten, es ging wohl mehr drum, dass ja auch ein Zug der lange geradeaus fährt irgendwann mal an einem Hafen ankam und in den Docks war sicher nicht genug Platz für große Radien. Genau so auf Fabrikgeländen. Zumindest am Lichtraumprofil hat sich in GB im Laufe der Jahrzehnte soweit ich weiß nichts wesentliches geändert. Es war ja eh schon immer viel kleiner als die Lichtraumprofile der Länder auf dem Kontinent. Wie das in Frankreich genau war und was sich da im Laufe der Zeit wie verändert hat, kann ich derzeit nicht sagen. Habe ja erst Ende letzten Jahres angefangen mich mit der Geschichte der Eisenbahn in Frankreich intensiver zu befassen.
Mittlerweile bedauere ich es nie französisch gelernt zu haben. Das wäre bei der Recherche jetzt schon sehr gut, mit Übersetzungsprogrammen dauert alles etwas länger
Vielen Dank für Deinen Beitrag und vor allem für das schöne Foto vom Gare d`Orleans bzw. heute Austerlitz (wie Du ja schon angemerkt hattest). Selbst heute hat der Bahnhof seinen Charme von damals behalten. Eine beeindruckende Architektur. Die urigen Wagendrehscheiben dagegen sind natürlich längst verschwunden .
Von diesem Typ wurden zwischen 1916 und 1921 bei der Birmingham Railway Carriage and Wagon Company (BRC&W) in GB 1250 Stück für die Französische Südbahn (MIDI) gebaut. Das interessante an dem Bild ist, dass der Wagen immer noch die Aufschrift "Midi" trägt, obwohl es am 14. Juli 1945 entstanden ist. Ich war bisher immer der Meinung, dass nach 1938 alle Güterwagen mit SNCF beschriftet wurden. War wohl ein Irrtum.
ich habe noch zwei Beispiele für Französische Güterwagen aus Übersee. Die kanadische National Steel Car Co. in Ontario baute im Winter 1915/16 im Auftrag des Britischen Kriegsministerium 1300 Gedeckte Güterwagen (1200 ohne und 100 mit Bremserhaus), nach Bauplänen der Französischen Nordbahn (NORD):
(Quelle: Railway Mechanical Engineer, New York, August 1917 - Public Domain)
Die gleiche Firma baute von 1917 bis 1920 4000 Gedeckte Güterwagen für die PLM:
(Quelle: Railway Mechanical Engineer, New York, August 1917 - Public Domain)
Alle diese Wagen wurden - wie schon die kanadischen im 1. Beitrag - in Einzelteilen angeliefert und in Frankreich zusammengebaut.
Nachdem ich nun immer mehr solche ausländischen Produktion finde, werde ich noch etwas weiter forschen und hierzu eine Broschüre erstellen, wo dann alle nicht in Frankreich gebauten Güterwagen der Franz. Gesellschaften aufgeführt sind und genauer beschrieben werden. Natürlich nur bis 1938. Für moderne Güterwagen bin ich nicht zuständig
nicht nur aus Kapazitätsgründen in den bahneigenen französischen Wagenbauanstalten kaufte man während des 1. Weltkrieges Güterwagen im Ausland, auch bereits um 1900 lies die PLM bei der US-amerikanischen Firma Pressed Steel Car Company in New Jersey 100 offenen Güterwagen mit Drehgestellen zum Kohletransport bauen. Vermutlich weil man in Europa noch nicht soviel Erfahrung mit Drehgestellen hatte, wie in den USA.
Anscheinend war man aber mit diesen Wagen nicht so besonders zufrieden. Zwischen 1911 und 1914 baute die PLM die Wagen in den bahneigenen Werkstätten zu Rungenwagen um.